Die Bundesregierung rühmt sich dafür, im Kampf gegen den #IS# „substantielle Beiträge“ zu leisten. Hinsichtlich der Prozesse gegen IS-Mitglieder in Nordostsyrien begnügt sich Deutschland jedoch mit der Forderung nach Einhaltung internationaler Standards.
Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) hat am 10. Juni angekündigt, ausländische IS-Mitglieder vor lokale Volksgerichte zu stellen. Vorangegangen waren jahrelange Appelle an die Herkunftsstaaten, einen internationalen Gerichtshof für die Ahndung der vom „Islamischen Staat“ begangenen Verbrechen einzurichten. Weil darauf keine Antwort erfolgte und die AANES mit Tausenden IS-Gefangenen aus etwa sechzig verschiedenen Ländern allein gelassen wird, soll jetzt eine juristische Aufarbeitung vor Ort erfolgen.
Unter den IS-Gefangenen in Nordostsyrien befinden sich auch deutsche Staatsangehörige. Aus den Internierungslagern sind in Absprache mit der AANES bisher 27 Frauen, 80 Kinder und ein Heranwachsender nach Deutschland zurückgeführt worden. Einige der Frauen wurden vor deutschen Gerichten wegen Mitgliedschaft und Verbrechen im Zusammenhang mit dem IS verurteilt. Die bisher höchste Strafe gegen eine deutsche IS-Anhängerin wurde am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Koblenz verhängt: Die 37-jährige Angeklagte wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Beihilfe zum Völkermord zu einer Haftstrafe von neun Jahren und drei Monaten verurteilt.
„Aufgrund unterschiedlich gelagerter Interessen nicht durchsetzbar“
Die Bundestagsabgeordnete Gökay Akbulut (DIE LINKE) hat in der Fragestunde am Mittwoch im Bundestag nachgefragt, wie sich die Bundesregierung bisher zur Einrichtung eines internationalen Tribunals für IS-Verbrechen in Nordostsyrien positioniert hat, ob sie sich an den Kosten der Inhaftierung von mutmaßlichen IS-Mitgliedern beteiligt und inwieweit beabsichtigt wird, die juristische Aufarbeitung der IS-Verbrechen in der Autonomieregion zu unterstützen. Eine weitere Frage betraf die konsularische Betreuung deutscher IS-Mitglieder in nordostsyrischen Gefängnissen.
Wie aus der Antwort von Katja Keul, Staatsministerin im Auswärtigen Amt, hervorgeht, fordert die Bundesregierung hinsichtlich der angekündigten Gerichtsverfahren die Einhaltung internationaler Standards ein, will jedoch nicht dazu beitragen. Die Einrichtung eines internationalen Tribunals sei „aus Sicht der Bundesregierung aufgrund unterschiedlich gelagerter internationaler Interessen derzeit nicht durchsetzbar“.
Für Gökay Akbulut ist diese Antwort inakzeptabel. „Die Bundesregierung sagt zwar, dass sie sich weiterhin dafür einsetzen wird, dass die Gräueltaten des IS strafrechtlich verfolgt werden. Jedoch hat sie sich weder für ein internationales Tribunal eingesetzt, noch hat sie sich ernsthaft darum bemüht, dass deutsche IS-Kämpfer zurückgeholt und hier in Deutschland vor Gericht gestellt werden. Das ist widersprüchlich und absolut inakzeptabel“, erklärte die Linksabgeordnete gegenüber ANF.
„Nach meiner Einschätzung nimmt die Bundesregierung falsche Rücksicht auf die Türkei, die eine Anerkennung der kurdischen Selbstverwaltung scheut, und ist deshalb zurückhaltend bei der Einrichtung eines internationalen Tribunals in Nordostsyrien. Zumindest bei der jetzt geplanten strafrechtlichen Aufarbeitung durch lokale Gerichte sollte sich Deutschland in größerem Umfang engagieren“, fordert Akbulut und erklärt: „Außerdem stockt die Rückführung der deutschen IS-Gefangenen nach Deutschland. Bisher hat sich Deutschland nur bereit erklärt, 27 Frauen, 80 Kinder und einen Heranwachsenden zurückzuholen.“
Die Bundesregierung rühmt sich jedoch dafür, im Rahmen der internationalen Koalition im Kampf gegen den IS „substantielle Beiträge“ zu leisten. So sei zuletzt beim Treffen der Außenminister:innen der Anti-IS-Koalition am 8. Juni in Riad mitgeteilt worden, dass im Jahr 2023 voraussichtlich mindestens 100 Millionen Euro für zivile Anti-IS-Maßnahmen mobilisiert werden sollen. „Damit bliebe Deutschland zweitgrößter Geber nach den USA“, so die Bundesregierung.
Gökay Akbulut reicht das nicht: „Der angekündigte deutsche Beitrag in Höhe von 100 Millionen Euro für zivile Anti-IS-Maßnahmen ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man noch berücksichtigt, dass die Region durch permanente Angriffe des deutschen Nato-Partners Türkei destabilisiert wird.“
Weiterhin keine konsularische Betreung in Syrien
Die von der Bundesregierung geförderten Maßnahmen betreffen laut Staatsministerin Keul „die Verbesserung der Lebensbedingungen, den Erhalt von Basisdienstleistungen, sowie die Rehabilitierung, Rückkehr und Reintegration von in Nordost-Syrien in Lagern befindlichen Personen. Die Bundesregierung unterstützt auch Aktivitäten zur Versöhnung und Vertrauensbildung auf lokaler Ebene und zur Aufarbeitung von IS-Verbrechen.“
Eine konsularische Betreuung von deutschen Staatsangehörigen in Syrien sei seit der Schließung der deutschen Botschaft in Damaskus im Jahr 2012 weiterhin nicht möglich.[1]