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Kurze Geschichte Kurdistans ab 1920
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Kurze Geschichte Kurdistans ab 1920

Kurze Geschichte Kurdistans ab 1920
$Kurze Geschichte Kurdistans ab 1920$
Kurdistan ist je nach Definition und Schätzung mit 490.000 bis 530.000 km² ungefähr so groß wie Frankreich und umfasst zurzeit Teile der Staaten Türkei, Irak, Iran und Syrien. Es gibt bis heute allerdings keine genaue geographische Definition von Kurdistan. Dieser kurze Geschichtsabriss behandelt schwerpunktmäßig jenen Teil Kurdistans, der seit 1923 innerhalb der Grenzen der Türkei liegt.

Die erste Teilung Kurdistans zwischen dem Osmanischen Reich und dem Reich der Safawiden (Persien) wird 1639 besiegelt. Die damalige Teilung ist auch heute noch an der fast identisch verlaufenden Grenze zwischen der Türkei und dem Iran sichtbar.

Nach der Niederlage und dem Zerfall des Osmanischen Reichs, das im 1. Weltkrieg mit Deutschland und Österreich-Ungarn zu den Kriegsverlierern zählt, billigt der Vertrag von Sèvres den Kurd_innen 1920 das Recht auf Selbstbestimmung zu. Die südwestlichen Gebiete Kurdistans als französischer Einflussbereich werden Syrien zugeschlagen. Großbritannien wird Mandatsmacht im heutigen Irak, der die südöstlichen kurdischen Landesteile erhält.

Zur gleichen Zeit organisiert Mustafa Kemal (Atatürk) den Widerstand gegen jene europäischen Staaten, die Istanbul besetzt halten, und gegen die griechische Armee, die bis nach Anatolien vorgedrungen ist. Die Kemalisten propagieren eine Regierung beider Völker (Kurd_innen und Türk_innen) und binden auf diese Weise die kurdischen Stammesführer und Scheichs in den Krieg gegen die Besatzungsmächte und Griechenland ein. Die Nationalisten in Ankara lehnen den Vertrag von Sèvres ab und erklären sich zur rechtmäßigen Regierung. Dieser Krieg, der je nach Perspektive „Befreiungskrieg“ oder „Griechisch-Türkischer Krieg“ genannt wird, endet mit dem Sieg der türkischen Armee.

1923: Der Vertrag von Sèvres wird im Vertrag von Lausanne zugunsten der Türkei revidiert. Die neuen Machtverhältnisse zwischen der Türkei und den Besatzungsmächten Großbritannien, Frankreich und Italien werden vertraglich festgeschrieben. Von den Versprechungen des Vertrages von Sèvres gegenüber den Kurd_innen ist keine Rede mehr. Das Siedlungsgebiet der Kurd_innen befindet sich von nun an in vier Staaten: in der Türkei, im Iran, im Irak und in Syrien.

28. Oktober 1923: Die Türkische Republik wird ausgerufen. Obwohl es im Lausanner Vertrag anders geregelt ist, gibt es keinen Platz für andere Völker in der Türkei. Es beginnt die Politik der Zwangsassimilation.

1928: In den kurdischen Gebieten wird die gesamte zivile und militärische Verwaltung unter die Kontrolle eines „Generalinspekteurs des Ostens“ gestellt. Als Antwort darauf brechen in fast allen Regionen Aufstände aus.

1930: Große Widerstandsbewegung in der Region des Berges Ararat – der Ararat Aufstand. Die politische Forderung lautet: Unabhängigkeit für die Kurd_innen. Aufgrund einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen dem Iran und der Türkei (1932) werden iranische und türkische Truppen gegen den kurdischen Aufstand eingesetzt.

1932: Ankara verkündet ein Gesetz zur Deportation und Versprengung der Kurd_innen. Mehrere 100.000 Kurd_innen werden nach Zentral- oder Westanatolien deportiert.

1936-1938: Bewaffneter Widerstand der Kurd_innen von Dêrsim (türkisch: Tunceli), der brutal niedergeschlagen wird, danach erfolgen erneut Deportationen (Dêrsim Genozid).

1937: Saadabad-Abkommen zwischen der Türkei, dem Irak, dem Iran und Afghanistan, in dem auch ein koordiniertes Vorgehen bei der Bekämpfung der Kurd_innen vereinbart wird.

1945 wird die kurdische Nationalkleidung, der Sal Sapik, verboten, ebenso der Gebrauch der Sprache in der Öffentlichkeit.

1946: Aufhebung des Kriegszustandes in den kurdischen Provinzen.

April 1946: Gründung der KDP Irak (Partîya Demokrata Kurdistanê - PDK) durch Mustafa Barzani. Die Gründung erfolgt im iranischen Teil Kurdistans in Zusammenhang mit der Entstehung einer kurdischen Republik in Mahabad, die weniger als ein Jahr existiert. Nach dem Tod Mustafa Barzanis übernimmt 1979 Masud Barzani die Führung. Die KDP gilt als konservative Partei, die im Wesentlichen die Interessen der Stammes- und Clangesellschaft vertritt. Sie ist die zweite große Kurdenfraktion im Nordirak neben der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die 1975 aus einer Abspaltung der KDP unter Führung von Dschalal Talabani entsteht. Mit Unterstützung von Saddam Hussein kämpft die KDP in einem Bürgerkrieg gegen die PUK, die vom Iran unterstützt wird. In den Auseinandersetzungen zwischen den Konfliktparteien PUK und KDP im Irak kommen etwa 3000 Menschen ums Leben. Beide gemeinsam kämpfen an der Seite der Türkei im „Südkrieg“ zu Beginn der 1990er Jahre gegen die PKK. Zur Wahl eines Übergangsparlaments nach dem Irak-Krieg schließt sich die KDP mit der PUK, sowie weiteren kleineren Parteien, zur Demokratischen Patriotischen Allianz Kurdistans (auch Kurdische Allianz genannt) zusammen. Das Wahlbündnis gewinnt bei der Wahl am 30. Januar 2005 25,7 % und somit 71 von insgesamt 275 Sitzen in der irakischen Nationalversammlung.

1950/51: Kurdische Familien aus Dörfern in der Region Wan werden zwangsdeportiert. In ihren Häusern werden türkische Familien aus Bulgarien und Jugoslawien angesiedelt.

1960: Am 27. Mai putscht das Militär unter Führung von General C. Gürsel gegen die Regierung von Menderes, der hingerichtet wird. Eine verfassungsgebende Versammlung wird einberufen, die eine neue türkische Verfassung ausarbeitet. Diese ist bedeutend liberaler als die vorhergehende, garantiert aber keine erweiterten Rechte für die Kurd_innen. Der so genannte „kurdische Separatismus“ wird in der neuen Verfassung zum Staatsverbrechen erklärt. Anfang November wird in der türkischen Zeitung Yeni Istanbul berichtet, dass es erneut zu neuen Massendeportationen kurdischer Familien gekommen sei.

1965: Gründung der Kurdischen Demokratischen Partei der Türkei, KDP-Türkei. Sie ist als erklärt kurdische Partei in der Türkei automatisch illegal und betätigt sich ausschließlich konspirativ. Sie unterhält enge Beziehungen zur KDP im Irak unter Führung Mustafa Barzanis.

Zum ersten Mal dürfen ausländische Besucher_innen nach Nordkurdistan (Türkei) einreisen. Die Region war seit 1925 „für Ausländer verbotenes Militärgebiet“. In dieser Zeit beginnen auch große Demonstrationen gegen Hunger, Armut und ethnische Diskriminierung.
1967: Das „Gesetz zur Kulturpflege bestimmt ein Verbot kurdischer Literatur, Zeitungen und Musik.

1969: Von der KDP-Türkei spaltet sich ein Flügel ab, der sich weiter links orientiert und die völlige Unabhängigkeit Kurdistans anstrebt. Aus diesem Flügel gehen die „Revolutionären Kulturvereinigungen des Ostens“ (türkisch: Doğu Devrimci Kültür Derneği) hervor, die als reine Kulturvereinigung legal sind. Ihr Ziel ist, die türkische und Weltöffentlichkeit über das kurdische Problem und über die Repressionen in den kurdischen Regionen zu informieren. In den folgenden Jahren geht die türkische Armee gegen diese Kulturvereinigungen massiv vor. In der Regierung wird darüber diskutiert, einen „türkischen Gürtel“ entlang der Grenzen zum Irak und Syrien einzurichten, analog zum „arabischen Gürtel“, mit dem Syrien zehntausende kurdische Bäuer_innen aus den grenznahen Dörfern umzusiedeln gedachte.

1971: Am 12. März putscht das Militär erneut. Linke Parteien und Organisationen werden verboten. Eine „starke Regierung“ wird eingesetzt. Mehrere tausend „kurdische Separatist_innen“ werden verhaftet und eingesperrt. Sie werden vor Ausnahmezustandsgerichten abgeurteilt. Damit soll auch der von dem erfolgreichen kurdischen Kampf im Süden (Nordirak) überspringende Funken rechtzeitig ausgetreten werden.

1972: Deportation von mehr als 3000 Bäuer_innen aus der Provinz Hakkari (Culêmerge).

1973: Im Oktober wird wieder eine parlamentarische Regierung eingesetzt. Bülent Ecevit, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei CHP, wird Präsident.

1976: Im November kommen bei einem schweren Erdbeben in der Region Wan mehrere tausend Menschen ums Leben. Viele sterben an den Folgen ihrer Verletzungen und werden Opfer der Winterkälte. Mehr als 100.000 kurdische Bäuer_innen und ihre Familien werden obdachlos. Der örtliche (türkische) Militärkommandant wird in einer Zeitung zitiert mit dem Satz: „Lasst die Leute doch sterben, es sind ja nur Kurden.“

1976 und die folgenden Jahre: Europäische Journalist_innen und in den kurdischen Grenzgebieten arbeitende ausländische Arbeiter_innen berichten von ständiger Bedrohung, Verfolgung, Erniedrigung der kurdischen Bevölkerung, insbesondere der Frauen in den Gebieten des Ausnahmezustands in Nordkurdistan. Tausende kurdische Familien werden aus ihren Dörfern deportiert.

1978: Es kommt zu großen Streiks gegen die zunehmende Wirtschaftskrise. Rechtsextreme Todesschwadronen der „Grauen Wölfe“ greifen aktiv führende Streikende an.

27. November 1978: Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, wird gegründet.

23. Dezember 1978: 31 kurdische Einwohner_innen von Meresh (Kahramanmaraş) werden von Rechtsextremen ermordet und 150 weitere verletzt, die meisten von ihnen Alevit_innen. Die Mörder werden dabei vom Geheimdienst unterstützt. Wenige Tage später verhängt Ecevit den Ausnahmezustand über acht kurdische Provinzen, ebenso wie über die Zentren der Streikbewegung: Meresh, Sivas, Istanbul, Ankara und Adana.

1979: Im April wird der Ausnahmezustand auf sechs weitere kurdische Provinzen erweitert.

12. September 1980: General Evren putscht mit Unterstützung der NATO. Stationierung der schnellen Eingreiftruppen der NATO im Herzen Kurdistans, in Wan und Batman. Evren begründet den Putsch auch damit, „zu den Quellen des Kemalismus zurückkehren“ zu wollen und „die separatistischen Umtriebe zu bekämpfen“. Der Putsch richtet sich eindeutig gegen die starken linken und kommunistischen Kräfte in der Türkei. Tausende von politischen Gefangenen werden gefoltert und zum Tode verurteilt. Die PKK zieht sich in den Libanon zurück. Türkische und kurdische oppositionelle Gruppen gehen ins Exil, die meisten nach Europa.

1982: Großer Hungerstreik in den Gefängnissen.

10. August 1982: Durch ein Referendum wird eine neue Verfassung angenommen. Gegenüber den Kurd_innen enthält sie die restriktivsten Gesetze seit Gründung der Türkischen Republik. Fortgesetzte Bombardierungen und Razzien in kurdischen Dörfern.

15. August 1984: Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, nimmt den bewaffneten Kampf gegen das türkische Regime auf. Die Hoffnung der Militärs, die „Banditen“ in kürzester Zeit zu besiegen, wird nicht erfüllt. In den folgenden Jahren wächst die PKK zu einer Massenbewegung mit zeitweilig 30.000 Kämpfer_innen an. Die türkische Armee antwortet mit einem Krieg, in dem bis heute 35.000 Menschen starben und 4000 Dörfer zerstört wurden.

16. März 1988: Flugzeuge des irakischen Militärs greifen die kurdische Stadt Halabja im Irak mit Giftgas an. Über 5000 Menschen fallen diesem Angriff zum Opfer. Aufgrund der großen Flüchtlingswelle von Kurd_innen aus dem Süden werden in den kurdischen Gebieten der Türkei mit internationaler Unterstützung Flüchtlingslager eingerichtet.

1990: Zu Newroz, dem kurdischen Neujahrsfest, beginnen sich Serhildan (Volksaufstände) zu entwickeln. Es kommt zu einer Massenbewegung, die der palästinensischen Intifada vergleichbar ist.

Juni 1990: Die HEP, die Partei der Arbeit des Volkes (Halk Emek Partisi – zunächst legale kurdische Partei), wird gegründet. Die Gründungsmitglieder sind ehemalige kurdische Abgeordnete der Sozialdemokratischen Partei der Türkei, die die SHP aus Protest verlassen hatten. Die SHP hatte den Parteiausschluss der Abgeordneten angedroht, nachdem diese in Paris an einer Konferenz über Kurdistan teilgenommen hatten.

Ministerpräsident Özal spricht im Juli 1990 zum ersten Mal von „seinen kurdischen Mitbürgern“.
10. August 1990: Beim Europarat in Straßburg geht eine offizielle Note der türkischen Regierung ein, dass in den kurdischen Gebieten der Türkei fortan die Menschenrechte außer Kraft gesetzt sind.

April 1991: Vor dem Ansturm irakischer Truppen fliehen Hunderttausende von Kurd_innen in die Türkei und den Iran. Die Türkei berichtet von 250.000 südkurdischen Flüchtlingen auf ihrem Boden. Allerdings hält sie die Flüchtlinge in den Bergen fest. Die Zahl steigt ständig. Täglich sterben in den provisorischen Lagern bis zu 1000 Menschen. Durch Einrichtung der Alliierten Schutzzone (UN-Resolution Nr. 688) werden die Flüchtlinge aus der Türkei in den Süden (Nordirak) zurückgeführt.

Juli 1991: Der HEP-Politiker Vedat Aydin wird ermordet.
Die HEP ist seit 1991 als erste kurdische Partei im Parlament vertreten, sie erringt durch ein Wahlbündnis mit der SHP 19 Sitze im Parlament. Leyla Zana legt ihren Amtseid als Abgeordnete in kurdischer Sprache ab und wird zu langjähriger Haft verurteilt.

August 1992: 70 Prozent der kurdischen Stadt Şirnak werden durch türkisches Militär mit schweren Waffen vernichtet.

September 1992: Der 70jährige Journalist, Schriftsteller und Mitbegründer der HEP, Musa Anter, wird in Diyarbakir ermordet.

5. bis 30. Oktober 1992: Gemeinsamer Krieg der türkischen Armee, der KDP und der PUK gegen die PKK in Südkurdistan (Irak), der „Südkrieg“. Die KDP und die PUK führten in den 1990er Jahren zahlreiche Militäroperationen gemeinsam mit der türkischen Armee gegen die PKK durch.

Oktober 1992: Der deutsche freie Journalist Stefan Waldberg wird bei seiner Rückkehr aus Südkurdistan (Irak) in die Türkei festgenommen. Wegen angeblicher Kuriertätigkeit für die PKK wird er im Jänner 1993 zu 3 Jahren und 9 Monaten Haft verurteilt. International wird dieses Urteil von diversen Medienverbänden, bis hin zum renommierten PEN-Club, als Kriminalisierung von kritischem Journalismus bewertet. Insgesamt verbringt Stefan Waldberg ein Jahr und zwei Monate in verschiedenen türkischen Gefängnissen.

November 1992: Es finden Wahlen zum kurdischen Exil-Nationalparlament statt (europaweit und in den GUS-Staaten).

Februar 1993: Deutsche Politiker_innen, Anwält_innen und Organisationen erstatten Strafanzeige gegen die Regierung der Bundesrepublik Deutschland wegen Beihilfe zum Völkermord an den Kurd_innen.

20. März bis 5. Mai 1993: Die PKK ruft einen einseitigen Waffenstillstand aus.

Mai 1993: Die DEP (Demokrasi Partisi) wird gegründet, sie ist Nachfolgepartei der HEP, die im Juni verboten wird.

2. Juli 1993: Alevitisches Kulturfestival in Sivas. Nach dem Freitagsgebet findet eine islamisch-fundamentalistische Kundgebung vor dem Madimak-Hotel statt, in dem alevitische Musiker_innen, Schriftsteller_innen, Dichter_innen und Verleger_innen logieren. Aus der Menschenmenge heraus werden Brandsätze gegen das Hotel geworfen. Da das Hotel aus Holz gebaut ist, breitet sich das Feuer schnell aus. Dabei verbrennen 35 Menschen. Wegen der wütenden Menschenmenge draußen vor dem Hotel können die Bewohner_innen des Hotels nicht ins Freie, bis sie schließlich vom Feuer eingeschlossen sind. Obwohl Polizei und Feuerwehr frühzeitig alarmiert werden, greifen sie erst nach rund acht Stunden ein.

September 1993: Der kurdische DEP-Abgeordnete im türkischen Nationalparlament Mehmet Sincar wird in Batman ermordet. Nizamettin Toguc, ebenfalls DEP-Abgeordneter, wird schwer verletzt.

Oktober 1993: Die kurdische Stadt Lice wird durch türkisches Militär zerstört.

November 1993: Die PKK wird in Deutschland verboten.

10. Dezember 1993: Am Internationalen Tag der Menschenrechte stürmen türkische Sicherheitskräfte die Zentralredaktion der prokurdischen Zeitung Özgür Gündem in Istanbul und verhaften insgesamt 210 Mitarbeiter_innen.

März 1994: Sechs kurdische DEP-Abgeordnete des türkischen Parlaments werden verhaftet, nachdem ihre Immunität aufgehoben wurde.

Kurd_innen demonstrieren gegen das Verbot von kurdischen Neujahrsfesten in Deutschland mit Autobahnblockaden. In der Nähe von Mannheim verbrennen sich zwei junge Kurdinnen aus Protest gegen die deutsche Politik. In der Türkei wird zum ersten Mal auf staatliche Anordnung hin das kurdische Newroz gefeiert.

Die Kommunalwahlen werden von der DEP boykottiert. Als Grund werden unzureichende Bedingungen für freie und demokratische Wahlen genannt.

Juni 1995: Die DEP wird verboten, die Nachfolgepartei HADEP (Halkın Demokrasi Partisi) wurde bereits im Mai 1994 gegründet, da das Verbot der DEP absehbar war.

März 1995: Die YAJK (Union zur Befreiung der Frauen Kurdistans – Frauenarmee) wird gegründet.

März/April 1995: Die türkische Armee marschiert mit 50.000 Soldaten in die kurdischen Gebiete des Nordirak ein.

Mai 1995: Der erste kurdische Fernsehsender Med-TV beginnt regelmäßig Sendungen in kurdischer, türkischer, assyrischer und arabischer Sprache in ganz Europa, Nordafrika und den Mittleren Osten auszustrahlen.

27. Mai 1995: Seit diesem Zeitpunkt versammeln sich die „Mütter der Verschwundenen“ jeden Samstag in Istanbul mit Fotos ihrer vom Staat verschleppten und ermordeten Angehörigen. Sie protestieren gegen die Politik des Verschwindenlassens in der Türkei und in Kurdistan.

Juli 1995: In den Gefängnissen der Türkei und Kurdistans treten über 10.000 kurdische politische Häftlinge in den Hungerstreik. Außerhalb der Gefängnisse schließen sich mehrere Tausend Kurd_innen als Unterstützer_innen diesen Hungerstreikenden an. Eine Teilnehmerin des Solidaritätshungerstreiks in Berlin, die 41-jährige Gülnaz Baghistani, stirbt an Herzversagen.

Dezember 1995: Abdullah Öcalan ruft in einer Sendung des kurdischen Fernsehsenders Med-TV den zweiten einseitigen Waffenstillstand nach 1993 mit der Türkei aus.

Bei den Parlamentswahlen in der Türkei erreicht die HADEP 4,3 % der gesamten Stimmen.

1996: Das Jahr 1996 ist geprägt von Kämpfen in den Gefängnissen. Diese werden von türkischen und kurdischen politischen Gefangenen gemeinsam getragen und richten sich gegen die Verlegung von mehr als 450 politischen Gefangenen in verschiedene, über das ganze Land verteilte Haftanstalten und insbesondere in das Isolationsgefängnis Eskişehir. Über 10.000 Gefangene beteiligen sich daran, 13 Gefangene sterben an den Folgen von Hungerstreiks bzw. Todesfasten. Es kommt zu Zugeständnissen des türkischen Staates an die Gefangenen. Ende September 1996 folgt jedoch blutige Rache, als Sondereinheiten zehn kurdische politische Gefangene im Gefängnis von Diyarbakir ermorden und verstümmeln (Näheres siehe Kasten zur Geschichte der Kämpfe der Gefangenen in der Türkei).

1997: Die türkische Armee beginnt gemeinsam mit der irakisch-kurdischen Partei KDP eine Großoffensive gegen die Stellungen der PKK-Guerilla in Südkurdistan (Irak).

Jänner 1998: Der kurdische Student Ümit Cihan Tarho wird in der Inönü-Universität in Meledi (Malatya) von türkischen Faschisten (Graue Wölfe) angegriffen und ermordet.

Mai 1998: Es wird ein Attentat auf Akin Birdal, den Vorsitzenden des Menschenrechtsvereins (IHD), in Istanbul verübt, das er schwerverletzt nur durch Zufall überlebte.

28. August 1998: Abdullah Öcalan verkündet während einer internationalen Telekonferenz im kurdischen Med-TV den dritten einseitigen Waffenstillstand der PKK nach 1993 und 1995.

9. September 1998: Öcalan muss seinen Aufenthaltsort in Syrien verlassen, nachdem die Türkei Syrien mit Krieg gedroht hatte.

Oktober 1998: Andrea Wolf (Ronahi), eine deutsche Guerillakämpferin bei der ARGK (Nationale Volksbefreiungsarmee Kurdistans – bis 2000 militärische Organisation der PKK), wird bei Catak im Norden Kurdistans bei einer Operation der türkischen Armee gefangen genommen und anschließend hingerichtet.

November 1998: Abdullah Öcalan trifft in Rom ein. Zehntausende Kurd_innen aus ganz Europa machen sich auf dem Weg nach Rom, um ihre Sympathie zu bekunden.

Jänner 1999: Öcalan verlässt Italien zunächst mit unbekanntem Ziel und trifft dann in Moskau ein. Er beabsichtigt, in den Niederlanden vor dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal den Völkermord des türkischen Staates am kurdischen Volk anzuzeigen. Er reist weiter nach Griechenland. Er landet schließlich Anfang Februar in Kenia.

15. Februar 1999: Abdullah Öcalan wird in einer Geheimdienstoperation aus Kenia (aus dem Haus des griechischen Botschafters in Nairobi) in die Türkei entführt. Hunderttausend Kurd_innen auf der ganzen Welt gehen auf die Straße und protestieren heftig gegen die Verschleppung von Öcalan. In Europa, insbesondere in Deutschland, kommt es zu mehreren Besetzungen griechischer Konsulate.

17. Februar 1999: Bei einem Protest vor dem israelischen Konsulat (es gab Hinweise auf die Mitwirkung des israelischen Geheimdienstes an der Entführung Öcalans) in Berlin schießen Sicherheitsbeamte des Konsulats mit Maschinenpistolen gezielt auf Menschen. Vier Kurd_innen, darunter eine 18jährige Kurdin, werden erschossen. 18 Personen werden zum teilweise schwer verletzt und 229 Kurd_innen von der Polizei festgenommen.

17. April 1999: In Bonn demonstrieren knapp 200.000 Menschen für die Freiheit von Abdullah Öcalan. Es ist die größte Demonstration der Kurd_innen in Europa.
Bei den Parlaments- und Kommunalwahlen in der Türkei erreicht die HADEP knapp 5 % der Stimmen und verfehlt damit den Einzug ins Parlament. In den meisten kurdischen Provinzen wird sie stärkste Partei und stellt von nun an 39 Bürgermeister_innen.

29. Juni 1999: Das türkische Staatssicherheitsgericht verurteilt Abdullah Öcalan zum Tode.

August 1999: Öcalan ruft die PKK auf, ab dem 1. September den bewaffneten Kampf in der Türkei einzustellen und alle bewaffneten Einheiten aus dem türkischen Staatsgebiet abzuziehen.

Jänner 2000: Die türkische Regierung verschiebt die Vollstreckung des Todesurteils und will bis zum Ende des Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshofes abwarten.

Anfang März 2000: Die PKK stellt der Öffentlichkeit ein Friedensprojekt vor und richtet dieses an die Türkei.

21. März 2000: In Kurdistan, der Türkei und im Nahen Osten feiern Menschen zu hunderttausenden Newroz. Allein in Diyarbakir (Amed) kommen 300.000 Menschen zusammen. Weitere hunderttausende in Batman, Wan und Mersin.

Oktober bis Dezember 2000: Die PUK unter Talabani beginnt mit militärischen Angriffen gegen die PKK-Guerilla. Mit dem Einmarsch türkischer Truppen im Dezember wird die Lage zunehmend kritischer.

November 2000: Am HADEP-Kongress in Ankara beteiligen sich rund 100.000 Menschen.

Dezember 2000: Der türkische Staat greift die politischen Gefangenen in den Gefängnissen an, die gegen die Einführung der Isolationshaft einen Hungerstreik bzw. Todesfasten begonnen haben. Sondereinheiten stürmen 20 Gefängnisse. Bilanz: mehr als 30 tote Gefangene. Mehrere hundert Gefangene werden schwerverletzt in Krankenhäuser eingeliefert oder verschleppt. 34 Menschen gelten bis heute als offiziell „verschwunden“ Der Hungerstreik wird nicht beendet. Im Frühjahr fordert er weitere dutzende Tote, weil die türkische Regierung nicht auf die Forderungen der Gefangenen eingeht. (Näheres siehe Kasten zur Geschichte der Kämpfe der Gefangenen in der Türkei).

Februar 2001: Wirtschaftskrise in der Türkei. Die türkische Lira wird um bis zu 30 % abgewertet, die Inflation steigt wieder rapide an. Es finden landesweite Proteste statt.

Anfang März 2001: Die PKK ruft die kurdische Bevölkerung beim Newroz zum Serhildan (Volksaufstand) auf, um den türkischen Staat dazu zu zwingen, von der verschärften Politik gegenüber der Opposition abzukommen. In Kurdistan und in der Türkei feiern etwa 2 Millionen Menschen das Newroz-Fest, allein eine halbe Million in Amed/Diyarbakir.

Juni 2001: Kurd_innen in Europa beginnen die Kampagne der „Selbstidentifikation“. Zehntausende Menschen zeigen sich bei Staatsanwaltschaften als PKKler_innen an. Sie fordern die Anerkennung der Kurd_innen als ethnische Gruppe, die kulturellen und politischen Rechte und die Aufhebung des PKK-Verbotes.

2002: Aufhebung der Todesstrafe in Friedenszeiten und Umwandlung der Todesstrafe in lebenslange Haft. Öcalan sitzt seit dem 15. Februar 1999 in Isolationshaft auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer. Von dort meldet er sich mit Hilfe seiner Anwälte in Form von Gesprächsprotokollen zu Wort.

Die HADEP kandidiert gemeinsam mit anderen Organisationen als DEHAP (Demokratik Halk Partisi) bei der Parlamentswahl 2002 und verfehlt die Zehnprozenthürde.

2003: Die kurdischen Politiker Mehmet Yumak und Resul Sadak reichen eine Klage gegen die Sperrklausel (Zehnprozenthürde) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Am 30. Januar 2007 verkündet der Gerichtshof das Urteil, wonach die Sperrklausel nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.

März 2003: Die HADEP wird verboten, gegen die DEHAP ein Verbotsverfahren eingeleitet.

2004: Im Juni beendet die kurdische Guerilla einen fünfjährigen einseitigen Waffenstillstand und greift wieder zu den Waffen, da es zu keinen wirklichen Zugeständnissen des Staates an die kurdische Bevölkerung gekommen war und das Militär seine Angriffe intensivierte.

24. Oktober 2005: Die DTP (Demokratik Toplum Partisi) wird gegründet. Die DEHAP löst sich angesichts des Verbotsverfahrens im November 2005 selbst auf und übergibt ihre Büros der DTP.

2005-2007: Die kurdische Bewegung sammelt 3 Millionen Unterschriften für die Kampagne „Ich akzeptiere Abdullah Öcalan als politischen Willen des kurdischen Volkes“.

Oktober 2006: Die HPG (seit 2000 Name der militärischen Organisation der PKK) verkündet erneut einen einseitigen Waffenstillstand.

9. Juni 2007: Die türkische Armeeführung erklärt in Absprache mit der Regierung das Gebiet um Siirt, Hakkari und Şırnak zu einer vom Militär kontrollierten „Sicherheitszone“, was Ähnlichkeit mit dem Notstand der frühen 1990er Jahren hat.

17. Oktober 2007: Die Resolution für grenzüberschreitende Militäroperationen im Nordirak wird von der türkischen Nationalversammlung angenommen. Mit dieser Resolution, die auf ein Jahr beschränkt ist, darf die Regierung in Ankara das Militär ohne jegliche Konsultationen mit dem Parlament in den Nordirak schicken.

21. Februar 2008: Die türkische Armee startet mit der Operation „Sonne“ die 25. Bodenoffensive seit 1983 in den Nordirak, an der schätzungsweise 10.000 Soldaten beteiligt sind. Bei den Zusammenstößen mit der PKK kommt es zu heftigen Widerständen. Die Operation endet am 29. Februar. Der Generalstab gibt bekannt, dass 237 Militante der HPG getötet wurden. Die eigenen Verluste werden mit 24 getöteten Soldaten und 3 getöteten Dorfschützern angegeben. Die HPG beziffert ihre Verluste auf 9 Angehörige der Guerilla und behauptet, dass über 100 Soldaten getötet wurden.[1]
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