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Der Berliner Künstlerin Elif Küçük
Der Berliner Künstlerin Elif Küçük
Der Berliner Künstlerin Elif Küçük ist es wichtig, neue Bilder zu kreieren. Bilder, die Opfer von Rassismus und Faschismus würdevoll darstellen. Bilder, mit denen Hinterbliebene trauern und ihren Toten angemessen gedenken können.
Elif Küçük ist eine visuelle Künstlerin und Art Direktorin aus Berlin. Als Illustratorin hat sie etwa die Opfer von Hanau und des NSU, die Toten von Sivas, #Hevrîn Xelef# und Kämpferinnen der #YPJ# gezeichnet. Ihr ist es wichtig, neue Bilder zu kreieren. Bilder, die Opfer von Rassismus und Faschismus würdevoll darstellen. Als kurdisch-alevitische Frau ist ihr der antifaschistische Widerstand eine existenzielle Notwendigkeit. Dîlan Karacadag von Yeni Özgür Politika hat mit ihr gesprochen.
Was inspiriert dich in deiner Kunst?
Mich interessieren Ideen von Zärtlichkeit, Solidarität und Widerstand. Diese sind für mich vor allem in Freund*innenschaften zu finden. Seit meiner Kindheit haben mich Geschichten um selbstgewählte Familien und Bündnisse sehr berührt. Die Animeserie „Sailor Moon” zum Beispiel, in der Staffel für Staffel junge Mädchen füreinander und umeinander kämpfen - füreinander gar sterben im Kampf für „Liebe und Gerechtigkeit“ hat mich nachhaltig sehr geprägt. Das dürfte kein Zufall sein. Ich vermute, dass mich diese radikale Hingabe, dieser verbindliche Pakt schon sehr früh an die politische Praxis der Hevaltî* aus der kurdischen Freiheitsbewegung erinnerte. Das Motiv der Freund*innenschaft ist daher sehr zentral und richtungsweisend für meine Arbeit.
Zusammen mit Poliana Baumgarten hast du die ze.tt-Dokumentation „Afro zu tragen, ist ein Akt des Widerstands” gemacht. Der Film thematisiert die Bedeutung von Afrohaaren in der Schwarzen Community und was es bedeutet Schwarz zu sein und einen Afro zu tragen in einer Gesellschaft, die von weißen Schönheitsidealen geprägt ist. Wie kam es zu der Idee?
Vor der Pandemie saßen Poliana und ich gemeinsam in der ze.tt-Redaktion, Rücken an Rücken und standen stets in einem sehr regen Austausch über alle möglichen Themen und Diskurse. So unterhielten wir uns auch darüber, welche Traumata und Wunden dominierende Schönheitskonzepte vor allem bei rassifizierten Menschen auslösen konnten. Uns war in erster Linie wichtig, die Geschichte der Gewalt und der rassistischen Entmenschlichung bestimmter Körper und ihrer Merkmale zu beleuchten und die damit verbundenen Auswirkungen bis heute darzustellen - hier im Besonderen von Schwarzen Frauen und ihrem Haar. Die weitgehend als harmlose Standards verstandenen Schönheitsideale sind Ergebnisse einer langen Geschichte der Gewalt, sie sind Folgen von kolonialistisch-rassistischen und misogynen Ideologien und Hegemonien. Daher sind, um eine Stelle aus unserem Film zu zitieren, „Haare niemals einfach bloß Haare“. Wir haben uns darüber hinaus natürlich auch mit Formen des Widerstandes und der Selbstermächtigung Schwarzer Frauen auseinandergesetzt, spezifisch auch mit der Frage, ab wann der Schwarze Körper frei sein kann.
Am 19. Februar 2020 ermordete ein Mann bei einem rassistischen Terroranschlag in Hanau diese neun Menschen. Illustration: Elif Küçük / ze.tt
Ein Schwerpunkt deiner künstlerischen Arbeit sind die Rechte und Belange von FLINT*Menschen und deren Diskriminierung. Wie definitierst du die politische Haltung deiner Kunst?
Als kurdisch-alevitische Frau ist der antifaschistische Widerstand für mich eine existenzielle Notwendigkeit und durchzieht folglich alle Lebensbereiche. Antifaschismus bedeutet für mich radikale Solidarität mit den Befreiungskämpfen indigener Bevölkerungen, von Frauen, von Menschen mit Behinderung, von trans und queeren Menschen, von rassifizierten und armen arbeitenden Menschen. Meine Arbeit ist in jedem Sinne Teil dieser politischen Praxis.
Deine Illustrationen von kurdischen Persönlichkeiten wie Hevrîn Xelef, HDP-Politiker*innen, ezidischen Frauen oder Frauenverteidigunskämpfer*innen sind ein wichtiger Teil deiner Arbeit. Findest du, dass du damit auch einen Beitrag für den kurdischen Kampf leistest? Was liegt dir in dieser Hinsicht besonders am Herzen?
Mir ist es wichtig, neue Bilder zu kreieren. Bilder, die Opfer von Rassismus und Faschismus würdevoll darstellen. Bilder, mit denen Hinterbliebene trauern und ihren Toten angemessen gedenken können. Bilder gegen das Vergessen. Denn - wie die*der politische Geograf*in Sinthujan Varatharajah sagen würde: Erinnern ist Widerstand.
Und nicht nur unsere Toten gilt es zu erinnern, sondern auch die Lebenden - in den Gefängnissen, auf den Straßen, in den Bergen.
Bilder sind für diesen Zweck, vor allem mit den Möglichkeiten von Social Media, bestens geeignet. Denn visuelle Symbole, Zeichen und Codes haben für Menschen, die Verfolgung, Genozide und Vertreibung erleben mussten, eine unglaubliche Kraft. Für Kurd*innen, deren Sprachen verboten und bloße Existenz geleugnet und kriminalisiert wird, sind diese Symbole in ihrer Sichtbarkeit eine Möglichkeit der Solidarität, des kollektiven Erinnerns und nicht zuletzt auch der Erweiterung von politischen Allianzen.
Was verinnerlichst du als Künstlerin und als Fotografin, wenn du einen Moment aufnimmst und illustrierst?
Als visuelle Künstlerin, die mit den Mitteln der Fotografie, Videografie und Illustration arbeitet, sind mir fließende Übergänge in meiner Methodik sehr wichtig. Wenn ich fotografiere, denke ich oft in bewegten Bildern. Wenn ich einen Film drehe wiederum in Stills. In der Postproduktion von Foto-und Videomaterialien, zeichne ich die Bilder nach und bearbeite die Farben und Konturen so, als würde ich sie malen. So habe ich die maximale Einflussnahme auf meine Bilder. Denn ich verstehe mich nicht als dokumentarische Künstlerin, sondern vielmehr als Bildschaffende, die das Gesehene interpretiert und in etwas Eigenes umwandelt.
Welche Gefühle kommen bei dir heraus?
Der Prozess des Zeichnens ist für mich oft sehr intensiv. Vergangenes Jahr zeichnete ich unter anderem die Opfer des Sivas-Massakers. Die Erinnerung an dieses Verbrechen begleitet mich schon seit meiner Kindheit. Durch das Zeichnen, das genaue Studieren der Gesichter jeder einzelnen Person, lernte ich eine neue Form des Trauerns kennen. Der Schmerz ließ mich tagelang nicht los. Ich finde das in Ordnung. Mir ist es wichtig, die Erschütterung und Wut zuzulassen und sie in Form von Resilienz in meine Bilder zu übersetzen.
An welchen Projekten arbeitest du aktuell?
Gemeinsam mit Duygu Örs, Bilal Ata Aktaş, Engin Sustam und Şener Özmen arbeite ich gerade an dem Ausstellungsprojekt „bê welat“ in der nGbk. Das Projekt konzentriert sich auf die Vielfalt kreativer Wege, die zur Bewältigung von kurdischen Realitäten herangezogen werden – Realitäten, die hauptsächlich von kollektiven Traumata, Formen von Widerstand sowie Bedingungen von Krieg und Exil gekennzeichnet sind. Das Hauptziel dieses Projekts ist die Entfaltung künstlerischer Grenzüberschreitungen und dekolonialer Reflexionen in Kurdistan und den kurdischen Diaspora-Räumen weltweit. Die Ausstellung wird voraussichtlich im Juni 2021 eröffnet.
In Kurdistan herrscht ja teilweise noch das Vorurteil, die kurdische Jugend in Europa sei „assimiliert“ und stünde in einem Spannungsfeld zwischen zwei Kulturen. Deine Kunst steht für das genaue Gegenteil. Findest du diese Kritik denn irgendwo auch berechtigt?
Grundsätzlich glaube ich nicht an diese Idee von „gefangen sein zwischen zwei Kulturen“. Ich denke auch nicht, dass es die eine kurdische Kultur oder Erfahrung gibt. Natürlich können wir von kollektiven Erfahrungen sowie generationsübergreifenden Traumata sprechen - die auch über verschiedene nationale Grenzen hinweg existieren. Doch ist es wichtig die jeweiligen historischen, politischen und sozialen Kontexte, in denen sich Menschen bewegen, mitzudenken. Eine kurdische Person in Deutschland kann nicht dieselbe Lebensrealität erfahren, wie eine Person in Kurdistan - oder aber auch in Frankreich oder Großbritannien. Assimilation ist aber natürlich in jedem Kontext ein gewaltvoller Prozess, der vor allem durch Unterdrückung und Herabsetzung bestimmter Bevölkerungsgruppen funktioniert - dem gilt es sich zu widersetzen.
Die Kritik aus Kurdistan verstehe ich als eine berechtigte Aufforderung zur Solidarität, zum Bewusstwerden über die eigenen Möglichkeiten und Ressourcen, die in diasporischen Räumen wie Europa z.B. existieren.
Was würdest du der jungen kurdischen Community raten?
Ich sehe tagtäglich den Einsatz junger kurdischer Menschen - auf social Media, auf den Straßen. Ich sehe, wie sie sich mit der kurdischen Geschichte und ihren eigenen Familienbiografien auseinandersetzen. Sie schreiben Bücher, machen visuelle Kunst und Musik. Sie sind in Bewegung und das ist großartig. In letzter Zeit konnte ich aber auch eine schleichende Resignation beobachten. Ich verstehe, woher das kommt. Die politischen Entwicklungen in Kurdistan und weltweit sind tatsächlich sehr erschütternd - diese werden auch nicht zuletzt durch die Pandemie erheblich verschlimmert. Ich möchte aber daran glauben, dass auch diese Resignation überwunden werden kann. Denn der Kampf misst sich nicht an der Höhe der Erfolgswahrscheinlichkeit. Er ist auch nicht erst dann kämpfenswert, wenn er überhaupt gewonnen werden kann. Der Maßstab ist immer Gerechtigkeit. Widerstand gegen menschenfeindliche Politiken sollte nicht nur dann stattfinden, wenn es Hoffnung gibt, sondern gerade auch dann, wenn es sie nicht zu geben scheint - weil er nun mal das einzig Richtige ist.
Zur Person: Elif Küçük wurde 1987 als Tochter einer alevitisch-kurdischen Familie aus Dersim im westtürkischen Izmir geboren. Mit fünf Jahren kam sie nach Deutschland. Sie wuchs in Erfurt auf und studierte Geschichte an der FU Berlin. 2015 kaufte sie sich ihre erste Spiegelreflexkamera und bildete sich seitdem autodidaktisch im Bereich der Foto-und Videografie fort. Sie arbeitet mit den Mitteln der Foto- und Videografie, der digitalen Illustration und Animation. Seit Oktober 2020 arbeitet sie als Editorial Designerin bei ZEIT ONLINE, im Ressort ze.tt.
*Hevaltî: Kurdisch für Freund*innenschaft.[1]

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