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Im Iran „ist Glut unter der Asche“
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Im Iran „ist Glut unter der Asche“
Im Iran „ist Glut unter der Asche“
Vor genau einem Jahr ist die Kurdin Jina #Mahsa Amini# infolge einer gewaltsamen Festnahme durch die iranischen Sittenwächter gestorben. Ihr Tod löste eine iranweite Protestwelle aus. Das Regime konnte sich halten – das „große Vergessen“ sei Fachleuten zufolge aber nicht eingetreten. „Da ist die Glut unter der Asche“, sagt Iran-Experte Walter Posch. Der Protest gehe in „einer anderen Form weiter“, analysiert der Politologe Hessam Habibi.
Nicht laut, sondern still war der Widerstand gegen die Islamische Republik zuletzt. Zumindest auf den ersten Blick gelang es dem Regime mit der gewaltsamen Zerschlagung der Aufstände, bei der seit vergangenem Herbst mindestens 500 Demonstrierende getötet und Zehntausende weitere festgenommen wurden, die Oberhand zu behalten. Die Mullahs setzen alles daran, ein Aufflammen der Proteste zu verhindern.

Dass es am Samstag – der auch ein religiöser Feiertag ist – dennoch zu Gedenkveranstaltungen kommt, ist trotz der Drohungen durch Präsidenten Ebrahim Raisi und Gefolgschaft nicht auszuschließen. „Diejenigen, die vorhaben, Mahsa Aminis Namen zu missbrauchen, ein Agent von Ausländern zu sein, Instabilität im Land zu schaffen – wir wissen, was mit ihnen geschehen wird“, sagte Raisi am Dienstag.
Erst gegen den Kopftuchzwang, dann gegen das System
Die Religionspolizei hatte die 22-jährige Amini am 13. September 2022 wegen ihres angeblich „unislamischen Outfits“ festgenommen. Kurze Zeit später starb sie, die Polizei wies jegliche Verantwortung von sich. In der Bevölkerung des mehrheitlich schiitischen Landes mündete Entsetzen und Trauer in großflächige Proteste unter dem Slogan „Frau, Leben, Freiheit“.

Sie richteten sich zunächst gegen den Kopftuchzwang, dann gegen das gesamte islamische System. Frauen und Männer unterschiedlicher Volksgruppen und Konfessionen standen plötzlich Seite an Seite. In den von Diskriminierung betroffenen Provinzen Kurdistan sowie dem mehrheitlich sunnitischen Sistan und Belutschistan war die Solidarität besonders groß.
Stiller Protest: Frauen ignorieren Kleidungsregeln
Die Proteste seien seit dem Herbst 2022 zwar „abgeflaut“, sagt Posch zu ORF.at, „aber was zu befürchten war, dass das große Vergessen eintritt und dass das Thema vollkommen irrelevant wird, ist definitiv nicht der Fall. Da ist die Glut unter der Asche“, hält der Experte fest. Der Protest habe sich in das „tägliche Leben“ integriert, sagt auch der Politologe Habibi gegenüber ORF.at. Er wertet das als „Zeichen, dass sich etwas Großes verändert hat“.
Als Zeichen des stillen Protests ignorieren heute viele Frauen die islamischen Kleidungsregeln – sei es in der belutschischen Stadt Sahedan, sei es in der Hauptstadt Teheran. An Universitäten seien nun zunehmend kritische Stimmen zu hören, sagt Habibi. Und auch in konservativen Familien sei vielfach ein Umdenken zu erkennen, hält der Wiener Iranist fest.

Ein Ende von Gewalt und Diskriminierung sind jene Kernforderungen der Protestierenden, auf die sich viele Iranerinnen und Iraner – darunter auch Regimeanhängerinnen und -anhänger – einigen können. Von einer Revolution wollen die beiden Iran-Experten dennoch nicht sprechen. Der Bewegung würde sowohl eine Organisationsform wie auch eine inneriranische Leitfigur fehlen, sagen sie.

Sunnitischer Prediger als Leitfigur?
Bekannte Gesichter der Protestbewegung gibt es tatsächlich kaum. Einer der wenigen, die im letzten Jahr aus der breiten Masse hervorstachen, war der sunnitische Geistliche Abdulhamid Ismailsahi. Bekanntheit erlangte er mit seinen Predigten infolge des „blutigen Freitags“ in Sahedan: Am 30. September 2022 wurden zahlreiche Menschen beim Freitagsgebet von Revolutionsgarden getötet.
Ismailsahi gab damals dem obersten geistlichen Führer Ajatollah Ali Chamenei und weiteren Repräsentanten des Staates die Verantwortung. Seitdem übt Ismailsahi regelmäßig Kritik am Regime, wirbt für Frauenrechte und einen Systemwechsel.
Nach Ansicht Habibis könne er allerdings „keine nationale Figur“ sein. Ismailsahi – der der gleichen religiösen Denkschule wie die Taliban angehört – fehle der politische Einfluss: Von den Reformern, zu denen er einst gute Beziehungen pflegte, habe er sich distanziert. Es sei auch „schwer zu glauben, dass viele Iraner, die wirklich kein Interesse an einer religiösen Figur haben, nochmal einem Kleriker als großem Guru vertrauen“, sagte der Experte.

Regime „kurzfristig gestärkt, langfristig geschwächt“
Das Regime will von dem Mangel an Organisation bisher profitiert haben. Im Februar erklärte das geistliche Oberhaupt des Iran die Unruhen für beendet sowie die Niederlage des vom „Feind“ angezettelten „Komplotts“. Gemeint waren die westlichen Regierungen und die iranische Diaspora, die die Demonstrationen im Exil unterstützte.

Neben Festnahmen und Drohungen setzten sich die regierenden Mullahs für ein neues Kopftuchgesetz, das härtere Strafen vorsieht, ein. „Auf was hin will man denn die Gesetze verschärfen, wenn das Risiko von der Frau, die das Kopftuch nicht aufsetzt, immer das war, dass sie willkürlich verhaftet, vergewaltigt und erschlagen werden kann?“, fragt Posch. Die Kopftuchpflicht zählt zu den ideologischen Säulen der Islamischen Republik.
Posch sieht das Regime „jetzt kurzfristig gestärkt, und ich vermute, langfristig geschwächt.“ Allerdings gebe es bei der Einschätzung „viele Unwägbarkeiten“. Die „große Niederlage“ hätte die Regierung ohnehin „streng genommen schon eingestehen müssen“. Dass so viele Frauen mittlerweile das Kopftuch abnehmen, ist nur möglich, weil „das den Polizisten, den Nachbarn und anderen“ egal ist, so der Experte.

„Dilemma“ und große Enttäuschung
Habibi spricht von einem „richtigen Dilemma“. Einerseits gebe es soziale Änderungen – der politische Diskurs und der Diskurs über Minderheiten sei nun in der breiten Masse Thema. Andererseits sei ein kompletter Systemwechsel weder für das Regime noch für die Mehrheit der Iraner, die eine Verschlechterung der Lage des Landes fürchten, eine Option.

Seit dem einseitigen Ausstieg Washingtons aus dem bahnbrechenden Atomabkommen 2018 leidet der Iran unter internationalen Sanktionen. Die Landeswährung Rial verlor stark an Wert. Vor allem unter den Jungen, von denen sich viele einen Wandel erhofft hatten, sei die Enttäuschung groß, hält der Experte fest.

„Das Regime wird wie all diese Regime über sich selber stolpern“, sagt Iran-Kenner Posch abschließend. „Ob es bei diesem Stolpern über sich selbst nur Tausende, Millionen Menschen in das Elend mitreißt oder ob es als Regime wirklich geschlossen auf die Nase fällt, darüber traue ich mich keine Prognose zu stellen.“

Katja Lehner (Text und Recherche), Sandra Schober (Daten), beide ORF.at.[1]

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